Und es gibt sie doch! – Phelsumen auf Rodrigues
Eindrücke einer herpetologischen Reise

von Jürgen Reuthe (IG-Rundschreiben 1/97)

 

Allgemeine Informationen:
Die Maskarenen-Insel Rodrigues liegt etwa 650 km nordöstlich von Mauritius vergessen im Indischen Ozean. Mit einer Länge von 18 km und einer max. Breite von 8 km gehört diese nur 104 qkm große Insel zum Staatsgebiet von Mauritius.
Die stark zerklüftete Insel besteht überwiegend aus kargen vulkanischen Hügeln und grünen Tälern. Sie verfügt auch über einige herrliche Sandstrände. Die Hauptinsel wird von weitläufigen Korallenriffen und 17 kleinen Inselchen, die alle unbewohnt sind, umgeben. Der höchste Berg im Landesinneren ist der Mont Limon mit 398m.
Die Landschaft und die Vegetation ähneln der auf Mauritius; allerdings gibt es auf Rodrigues so gut wie keine Zuckerrohrfelder.
Rodrigues hat heute um die 37.000 Einwohner, deren Vorfahren aus Schwarzafrika (größter Bevölkerungsanteil) und Europa stammen. Ihre Umgangssprache ist Kreolisch. Daneben wird noch Französisch und teilweise Englisch gesprochen.

Die Maskarenen-Insel Rodrigues

Die Maskarenen-Insel Rodrigues

Die Bewohner leben unter ärmlichen Bedingungen hauptsächlich von Fischfang, Tierzucht und Landwirtschaft. Im Norden der Insel liegt die Haupt- und Hafenstadt Port Mathurin mit ihren 6.000 Einwohnern. Obwohl hier u.a. kleine Handwerksbetriebe, Geschäfte, Banken, Schulen und ein Krankenhaus vorhanden sind, erinnert die Hauptstadt mehr an ein Dorf.
Zu Mauritius bestehen inzwischen relativ gute Verkehrsverbindungen. Der im Südwesten der Insel gelegene Flugplatz Plaine Corail wird zweimal täglich von kleinen Maschinen der Air Mauritius angeflogen; die Flugzeit beträgt ca. 1 1/2 Stunden. Außerdem läuft einmal im Monat ein Schiff aus Mauritius im Hafen von Port Mathurin ein.

Touristisch ist Rodrigues bislang kaum erschlossen. Es gibt lediglich 3 kleinere Hotels und einige Gästehäuser. Von den Straßen und Wegen sind immerhin ca. 100 km asphaltiert, so daß man die meisten Orte auf der Insel einigermaßen gut mit dem Auto oder Omnibus erreichen kann. Anders als auf Mauritius verkehren auf Rodrigues noch keine Taxis. Es besteht jedoch die Möglichkeit, sich einen PKW zu mieten.
Auf Rodrigues herrscht Tropenklima. Fast das ganze Jahr weht ein gleichmäßiger Wind aus Südost (Südostpassat). Es muß täglich mit Regen gerechnet werden. Die Luftfeuchtigkeit beträgt bei trockenem Wetter durchschnittlich 60 bis 70 %. Die „kühlsten“ und regenärmsten Monate sind Juni bis Oktober mit Temperaturen von 14 bis 25 Grad C. Im Gegensatz dazu fällt der meiste Niederschlag in den heißen Monaten Dezember bis März mit Durchschnittstemperaturen um die 30 Grad C., in denen auch die gefürchteten Zyklone auftreten können.
Rodrigues war früher mit dichtem Regenwald bedeckt, der in den vergangenen Jahrhunderten aber fast vollständig abgeholzt wurde. Reste des Primärwaldes findet man heute noch in schwer zugänglichen Tälern im Süden der Insel und auf einzelnen Berghängen im Landesinneren. Anfang der Achtziger Jahre wurde damit begonnen, die Insel wieder mit Bäumen zu bepflanzen; die ersten Erfolge dieser Wiederaufforstungsmaßnahmen sind inzwischen sichtbar.
Mit den Regenwäldern sind leider auch die beiden früher auf Rodrigues und den umliegenden Inseln lebenden Phelsumen-Arten verschwunden: Phelsuma gigas (Liénard, 1842) und Phelsuma edwardnewtoni (Boulenger, 1884). Die dämmerungs-/nachtaktive und düster gräulich gefärbte P. gigas erreichte eine Gesamtlänge von bis zu 54 cm; lebende Exemplare dieses Riesengeckos wurden zuletzt 1841/42 auf der vor der Südwestküste gelegenen Insel Ile Frégate gefunden. Dagegen war die bis zu 20 cm lang werdende P. edwardnewtoni tagaktiv und wies eine blaugrüne Grundfärbung auf. Dieser Gecko ist das letzte Mal im Jahre 1917 auf Rodrigues – der genaue Fundort ist nicht bekannt – gesehen worden. Nach mehreren ergebnislosen Expeditionen in den vergangenen Jahrzehnten gelten beide Arten heute als ausgestorben (vgl. Vinson & Vinson, 1969).

Reiseeindrücke:
Nachdem meine Frau und ich bereits in den Jahren 1992 und 1995 von Mauritius aus jeweils viertägige Kurzausflüge nach Rodrigues unternommen hatten, entschlossen wir uns im Frühjahr 1996, die Insel erneut zu besuchen. Diesmal sollte die Reise aber 14 Tage dauern, um die Reptilienfauna auf Rodrigues intensiver untersuchen zu können. Da in den letzten Jahren des öfteren über die Wiederentdeckung von irgendwelchen Reptilien berichtet wird, hofften wir natürlich, mit ein wenig Glück vielleicht P. edwardnewtoni zu finden.
Als Urlaubsunterkunft buchten wir in unserem Reisebüro das komfortabel ausgestattete und wirklich empfehlenswerte Cotton Bay Hotel an der Nordostküste, das an einem der schönsten Strände von Rodrigues liegt.
Am Samstag, dem 15. Juni, war es dann endlich soweit. Wir starteten mit der Air Mauritius vom Flughafen in Frankfurt. Nach mehrstündigen Zwischenstopps auf Mahé und Mauritius ging es dann mit einer kleinen zweimotorigen Maschine weiter nach Rodrigues. Im Flugzeug lernten wir zwei Engländer und einen Franzosen kennen, die im Auftrage des WWF unterwegs waren. Sie erzählten uns, daß sie gemeinsam mit vier anderen WWF-Mitarbeitern in den kommenden Jahren systematisch die Fauna und Flora in den bislang unerforschten Schluchten und Bergwäldern auf Rodrigues untersuchen wollen. Ihr Hauptaugenmerk gelte der Pflanzenwelt. Gleichwohl habe sie Carl Jones – ein Biologe des WWF auf Mauritius – gebeten auch nach Phelsumen Ausschau zu halten. Außerdem hätten sie sich persönlich zum Ziel gesetzt, eine bunte bis zu 15 cm lang werdende Nacktschnecke zu suchen. Diese sei seit vielen Jahren nicht mehr beobachtet worden und möglicherweise ausgestorben.

Biotopausschnitt aus dem Tal des River Mourouk

Biotopausschnitt aus dem Tal des River Mourouk

Etwa 28 Stunden nach unserem Reiseantritt in Deutschland erreichten wir abends „frisch“ und „munter“ das Cotton Bay Hotel. Bevor wir jedoch zum langersehnten Schlafen kamen, mußten wir auf Drängen des Personals zunächst noch das sonntägliche 7-Gänge-Menü und das dazugehörende musikalische Rahmenprogramm (traditionelle Sega-Tänze) genießen. In der Nähe der Außenlampen erblickten wir bereits die ersten graubraunen Nachtgeckos auf der Jagd nach Insekten. Es handelte sich um den Pazifikgecko (Gehyra mutilata) und den Tschikschak (Hemidactylus frenatus), die beide echte Kulturfolger sind.
Am nächsten Morgen erkundeten wir bei herrlichem Wetter mit Temperaturen um die 25 Grad C zunächst einmal die nähere Umgebung. Direkt hinter dem Hotel begann schon der Anstieg zu dem nicht sehr hohen Berg Mont au Sel. Das Landschaftsbild in dieser Gegend ist ziemlich eintönig, da es nur dunkle Basaltfelsen, verdorrtes Gras, Steinfelder und vereinzelt Schraubenpalmen (Pandanus) zu sehen gibt. Unter einem Felsbrocken fanden wir dann mehrere Schuppenfingergeckos (Lepidodactylus lugubris).

Sie erreichen eine Gesamtlänge von bis zu 10 cm und sind über die gesamte Insel verbreitet. Die Grundfärbung dieses Geckos ist auf Rodrigues sehr variabel und reicht von Gelbbraun bis Schwarzbraun. In den kommenden Tagen konnten wir beobachten, daß L. lugubris seine Farbe hervorragend der Umgebung anpassen kann. Bemerkenswert war auch, daß dieser eigentlich dämmerungs- und nachtaktive Gecko gelegentlich sogar in der Mittagszeit ein Sonnenbad nahm.

Auf dem Weg zum Mont au Sel begegneten wir noch einigen schwarzrosa gefleckten Hausschweinen, wilden Ziegen und Rindern, die wie überall auf der Insel frei umherliefen. Dabei hatten wir auch ein unangenehmes Erlebnis. Hinter einem Berghügel kamen plötzlich drei Jungbullen auf uns zugerast, was an dem roten T-Shirt meiner Frau gelegen haben könnte. Zum Glück stoppten sie jedoch wenige Meter vor uns ab und schauten uns nur neugierig an.
Nach diesem aufregenden Ausflug kehrten wir wieder zum Hotel zurück, um für die nächsten Tage ein Auto zu mieten. In diesem Zusammenhang machten wir die Erfahrung, daß ein Mietwagen auf Rodrigues relativ teuer ist. Letztlich griffen wir auf ein Angebot des in Fort Mathurin ansässigen Unternehmens Rod-Tours zu, das uns einen großen Jeep mit Fahrer zu einem günstigen Spezialpreis (rd. 85 DM pro Tag) offerierte. Der immer gutgelaunte einheimische Fahrer Francois erwies sich als wahrer Glücksfall, da er für uns in den nächsten Tagen auch zu einem wertvollen Begleiter und Dolmetscher wurde.
Für die Suche nach P. edwardnewtoni hatten wir uns im Vorfeld einen besonderen Plan überlegt. Wir wollten möglichst vielen Einheimischen ein Album mit verschiedenen Phelsumen-Fotos zeigen. Dabei hofften wir, auf jemanden zu stoßen, der schon eine bunte Echse auf der Insel gesehen hat.
In den nächsten Tagen setzten wir mit Hilfe von Francois unseren Plan in die Tat um. Wir befragten fast jeden, den wir am Straßenrand trafen. Die etwas menschenscheuen lnselbewohner zeigten sich alle freundlich und hilfsbereit. Viele der Befragten mußten erst einmal herzhaft lachen und hielten uns sicherlich für leicht verrückt. Die meisten von ihnen konnten uns jedoch eine Stelle nennen, an der sie oder ein Verwandter angeblich eine „bunte“ Echse beobachtet hatten. Auf diese Weise lernten wir schon in kurzer Zeit die gesamte Insel kennen, wobei auch unser Bekanntheitsgrad in der Bevölkerung von Tag zu Tag stieg. Da die Straßen weiträumig die Berge und Täler umgehen und hierdurch den Weg verlängern, erschien uns die Insel viel größer, als sie in Wirklichkeit ist.

Leider entpuppten sich die von den Einheimischen genannten Orte durchweg als Flop. Wir fanden zwar Echsen; diese waren aber nicht bunt und vor allem keine Phelsumen. Die am häufigsten empfohlene Stelle war die im Norden gelegene Baie Malgache. In diesem ausgetrockneten und vegetationsarmen Flußtal lebten zwischen Steinfeldern in großer Zahl graubraune Blutsaugeragamen (Calotes versicolor). Mit Ausnahme der Ostküste und den vorgelagerten Inseln sind sie auf der gesamten Insel anzutreffen. Von der Bevölkerung wird diese Echse „Chamäleon“ oder „Smokey Joe“ genannt. Den letzteren Namen hat sie nach unseren Recherchen erhalten, weil irgendeine unglückselige Agame vor langer Zeit einmal in eine weggeworfene Zigarettenkippe gebissen hat. Seitdem hält sich das hartnäckige Gerücht, daß Calotes versicolor eine „rauchende“ Echse ist.
Ein Bauer erzählte uns, daß die ersten Tiere Mitte der siebziger Jahre aus Mauritius eingschleppt worden seien. Diese Zeitangabe könnte ungefähr stimmen, zumal Vinson & Vinson (1969) noch nichts von der Existenz dieser Agame auf Rodrigues erwähnen.

Ein weiteres vielversprechendes Gebiet, das wir aufsuchten, war das bewaldete Flußtal des River Mourouk an der Südküste. Dieses schwer zugängliche Tal mit zum Teil noch ursprünglicher Vegetation erstreckt sich über 2km ins Landesinnere. Hinter einer Wasserpumpstation begann der eigentliche Tropenwald, in dem Laubbäume, verschiedene Palmenarten, Sträucher und Gräser vorherrschten. Uns fielen sofort die alten Eisenholzbäume auf, die vermutlich zu der Gattung Sideroxylon gehören. In den Bergwäldern auf Mauritius (Macabé-Forest) hatten wir schon Bäume dieser Gattung, auf denen dort Phelsuma guimbeaui rosagularis lebt, gesehen. In der Baumhöhle eines Eisenholzbaumes fand ich dann winzige 5 mm große Geckoeier. Als ich die Höhle vorsichtig mit einer Hand abtastete, kam plötzlich ein Zigeunergecko (Hemiphyllodactylus typus typus) zum Vorschein. Dieser bis zu 8 cm lang werdende Gecko besitzt eine graubraune Grundfärbung; die Schwanzunterseite ist leuchtend orange. Auffällig an Hemiphyllodactylus typus typus sind die Proportionen, die nicht zueinander passen und eher an einen Skink erinnern. Der Körper ist viel zu lang und die Beine sind zu kurz. Aufgrund seiner versteckten Lebensweise ist dieser ausschließlich nachtaktive Gecko nur schwer zu finden.
Nach etwa 100 Metern wurde der Wald immer dichter. Francois und ich kämpften uns dann ohne meine Frau weiter durch das Buschwerk taleinwärts.
Unterwegs beobachteten wir in den Bäumen mehrere L. lugubris und imposante Flughunde. Schließlich erreichten wir nach einiger Zeit einen Wasserfall, der von steilen Berghängen umschlossen wurde. Um dieses Hindernis zu überwinden, brauchte man entweder viel Mut oder gute Kletterfertigkeiten. Da uns beides fehlte, entschlossen wir uns zur Umkehr. Auf dem Rückweg trafen wir noch einen Mitarbeiter der Forstbehörde. Dieser wies uns darauf hin, daß sich hinter dem Wasserfall noch ein zweites Tal mit alten Bäumen befinde. Vom Landesinneren aus führe ein versteckter Weg zu diesem Tal, der allerdings nicht ganz ungefährlich wäre. Er sei schon mehrmals dort gewesen. Außer den kleinen braunen Nachtgeckos habe er aber keine Echsen bemerkt.

Blick auf die Insel Ile aux Fous

Blick auf die Insel Ile aux Fous

Trotz zerkratzter Arme und unzähliger Mückenstiche ließen wir uns nicht entmutigen und suchten unverdrossen weiter nach P. edwardnewtoni. In den nächsten Tagen durchstreiften wir zunächst auf begehbaren Pfaden die bewaldeten Täler des River Victoire und des River Graviers im Süden.
Desweiteren wurden von uns noch ein Wald mit herrlich riechenden tropischen Früchten im Südwesten und ein alter Palmenwald in der Nähe der Ortschaft Malabar im Landesinneren erkundet. Danach suchten wir die vegetationsarme Ost- und Westküste sowie die Gegend um den Berg Mont Limon ab. Unseren Bemühungen blieb aber weiterhin der Erfolg versagt.

Am fünften Tag marschierten wir im Inselinneren ergebnislos durch das dicht bewaldete Naturreservat Citronelle, im dem stellenweise noch Primärwald vorhanden ist. Bei dieser Gelegenheit statteten wir Mitarbeitern der Forstbehörde, die in diesem Gebiet eine Außenstelle unterhält, einen Besuch ab. Sie erzählten uns, daß bereits zu Beginn der neunziger Jahre alle auf der Hauptinsel und den vorgelagerten Inseln vorkommenden Pflanzen- und Tierarten durch Mitarbeiter des WWF und der Forstbehörde erfaßt worden seien. Man habe weder Phelsumen noch Schlangen, Skinke oder Amphibien gefunden. Seinerzeit seien aber einzelne Bergwälder und Schluchten nicht erforscht worden. Hierzu zähle auch der nicht weit entfernt liegende Gebirgszug Grande Montagne, auf dem es noch alte Laubbäume und Palmen gäbe. Dieses Gebiet stünde allerdings unter Naturschutz und sei deshalb vollständig eingezäunt. Man dürfe es normalerweise nur mit einer besonderen Genehmigung betreten. Mit etwas Überredungskunst durch unseren Fahrer erhielten wir aber die Erlaubnis, am nächsten Tag das Grande Montagne aufzusuchen. Der für dieses Gebiet zuständige „Watchman“, der im Auftrage der Forstbehörde streßfrei die Natur beobachtet und im Besitze der Schlüssel zur Öffnung der dortigen Zauntore ist, sollte uns begleiten.
Am kommenden Morgen erschien jedoch der „Watchman“ nicht zu der verabredeten Uhrzeit. Wir harrten aber geduldig aus, da uns inzwischen bekannt war, daß Zeit für die Inselbewohner keine Rolle spielt. Während der Fahrt zum Grande Montagne hatten wir bemerkt, daß auf den Feldern niemand arbeitete. Nach über zwei Stunden vergeblichen Wartens fiel schließlich unserem Fahrer ein, daß heute „Pay-Day“ sei. Wie wir dann erfuhren, bekommen an diesem Tag alle Arbeitnehmer morgens ihren Lohn bar ausgezahlt. Dieser freudige Anlaß wird von den meisten Männern stets mit einem großen Besäufnis gefeiert. Um noch den Großteil des Geldes zu retten, begeben sich die Frauen dann auf die Suche nach ihren Männern. Wenn sie hierbei Erfolg haben, fahren sie anschließend mit oder ohne Ehemann nach Port Mathurin zum Großeinkauf und machen sich ebenfalls einen schönen Tag. Der ‚Pay-Day‘ ist somit immer ein Riesenfest, an dem die ganze Insel auf den Beinen ist. Möglicherweise ist diese Ausgelassenheit und Freude am Feiern auf die Tatsache zurückzuführen, daß 97 % der Bevölkerung katholisch ist.

Angesichts der vergeblichen Suchaktionen auf der Hauptinsel beschlossen wir, in den nächsten Tagen einige der vorgelagerten Inseln zu besuchen. Gegen die Zahlung eines geringen Entgeltes sind einzelne Fischer gerne bereit, in ihren kleinen motorisierten Holzbooten Touristen zu diesen Inseln zu fahren. Die Überfahrt dauert in der Regel 25 bis 45 Minuten.
Zunächst brachte uns ein Fischer zu der vor der Nordküste gelegenen Insel Ile aux Fous, auf der ein kleiner Leuchtturm steht. Nach einem Bericht des französischen Astronomen Pingré, der diese nur knapp 8.000 qm große Felseninsel im Jahre 1761 besuchte, soll hier P. edwardnewtoni gelebt haben. Dies ist heute kaum vorstellbar, da die Vegetation dieser Insel nur aus wenigen Sträuchern und etwas Grasbewuchs besteht. Wir fanden dort lediglich farbenfrohe Krabben und L. lugubris vor. Zu allem Überfluß prasselte auf der Rückfahrt ein kurzer aber heftiger Tropenregen auf uns nieder.
Trotz durchnäßter Kleidung unternahmen wir anschließend noch Ausflüge zu den Sandinseln Ile aux Cocos und Ile aux Sables, die vor der Westküste liegen. Auf beiden Inseln gibt es malerische Sandstrände und zahlreiche Kokospalmen. Man kann hier seltene Vögel beobachten, darunter eine Kolonie schneeweißer Feenseeschwalben auf Ile aux Cocos.
Am darauffolgenden Tag sahen wir uns auf der vor der Südküste gelegenen Insel Ile Gombrani um, auf der neben Kasuarinen (Filaos) und mannshohem Buschwerk auch noch endemische Pflanzen vorkommen. Von dort ging es dann weiter zur kleinen Insel Ile Plate und später zur Felseninsel Ile Frégate, auf der früher P. gigas gelebt hat. Obwohl wir intensiv suchten, vermochten wir auf diesen Inseln nur L. lugubris zu entdecken. Ein älterer Fischer mit genauen Kenntnissen über alle Inseln hatte uns bereits prophezeit, daß wir mit Ausnahme eines kleinen Nachtgeckos keine Echsen finden werden.
Am neunten Tag änderte sich dann schlagartig das Wetter. Sturm zog auf, der von starken Regenfällen und hohem Wellengang begleitet wurde. Der Mitarbeiter einer Wetterstation oberhalb von Fort Mathurin erklärte uns, daß ein sog. „Antizyklon“ aufgezogen sei und in den nächsten Tagen das Wetter bestimmen werde. An weitere Ausflüge auf die vorgelagerten Inseln und Exkursionen in die Bergwälder war somit nicht mehr zu denken. Wir machten jetzt leider die Erfahrung, daß bei schlechtem Wetter auf Rodrigues sprichwörtlich der Hund begraben ist. Außer der Natur bietet die Insel keine touristischen Attraktionen. Eine Sehenswürdigkeit stellen allenfalls noch die Grotten in der Nähe des Flughafens Plaine Corail dar. In den ausgedehnten und tiefen Höhlen kann man Stalaktiten und Stalagmiten bewundern. Nach einer Sage sollen hier auch die Inselgespenster ihren Treffpunkt haben. Uns war es aber nicht vergönnt, mit ihnen Bekanntschaft zu schließen.

P.cepediana, Männchen aus der Anse aux Anglais

P.cepediana, Männchen aus der Anse aux Anglais

Um etwas gegen die aufkommende Langeweile zu tun, kamen wir auf die Idee, unsere Phelsumen-Fotos in den Schulen den Lehrern und Schülern zu zeigen. Die Schulleiter (Principal) stimmten wider Erwarten unserem Vorhaben begeistert zu. Die Schulsekretärinnen führten uns dann durch die einzelnen Klassenräume, was für die Schüler eine willkommene Abwechslung bedeutete. Ein kleines Mädchen war aber die einzige, die uns weiterhelfen konnte. Sie informierte uns darüber, daß sie vor wenigen Wochen eine blaue Echse in dem Garten einer Familie an der Bucht Anse aux Anglais beobachtet hat. Sie konnte uns sogar die genaue Anschrift nennen.
Als der Himmel an einem Nachmittag etwas aufklärte, fuhren wir ohne große Erwartungen zu der etwa 2 km östlich von Fort Mathurin gelegenen Anse aux Anglais. Die von dem Mädchen genannte Familie bestätigte dann überraschenderweise ihre Beobachtungen. Die gastfreundliche Frau des Hauses zeigte uns sogleich bereitwillig ihren Garten, in dem Bananenstauden, Palmen und Obstbäume standen. Schon nach kurzer Suche wurden wir fündig. Auf den Blättern der Bananenstauden sonnten sich mehrere Exemplare des Blauschwanztaggeckos Phelsuma cepediana (Merrem, 1820).

Nach diesem erfreulichen Fund erzählte uns die Hausbesitzerin, daß sich ihre Familie und die Nachbarn vor diesen merkwürdig gefärbten Echsen ein wenig fürchten. Ihr Sohn habe die ersten Tiere im Jahre 1994 im Garten entdeckt. Als wir die Frau darüber aufklärten, daß diese Geckos harmlos sind und sich von Fliegen und Mücken ernähren, war sie beruhigt.
In den umliegenden Gärten fanden wir noch weitere Blauschwanztaggeckos, darunter auch Jungtiere. Ich schätze, daß diese P. cepediana-Population mindestens 50 Tiere umfaßte. Da die Geckos in den Gärten günstige Lebensbedingungen vorfinden, gehe ich davon aus, daß sie sich in den kommenden Jahren rasch ausbreiten werden.
Durch weitere Nachforschungen klärten wir auch die Herkunft von P. cepediana. Die Arbeiter eines in der Nachbarschaft befindlichen Getränkemarktes berichteten uns, daß sie regelmäßig auf dem Schiffswege Getränkelieferungen aus Mauritius erhalten. Auf den Coca Cola-Kisten seien gelegentlich bunte Echsen umhergelaufen. Anfangs hätten sie gedacht, daß jemand aus Spaß die braunen Nachtgeckos angemalt habe. Anhand der Beschriftung auf den Cola-Flaschen fanden wir heraus, daß die Kisten aus der Stadt Phoenix auf Mauritius stammen. In dieser Gegend lebt als ausgesprochener Kulturfolger auch P. cepediana. Wer die Vorliebe der Phelsumen für süße Säfte kennt, kann sich alles weitere gut vorstellen.

Am Tag vor unserer Abreise besserte sich glücklicherweise wieder das Wetter. So bekamen wir doch noch die Möglichkeit, in Begleitung des „Watchman“ den Gebirgszug Grande Montagne besichtigen zu dürfen. Dieses Waldgebiet ist bereits seit vielen Jahren streng geschützt, da hier seltene Vögel brüten. Die stellenweise noch ursprüngliche Vegetation besteht vornehmlich aus Eisenholzbäumen und verschiedenen Palmenarten. Infolge der Regenfälle an den vorangegangenen Tagen war der Waldboden stark aufgeweicht und erschwerte uns die Suche. Neben farbenprächtigen Schmetterlingen fanden wir unter hervorstehenden Rindenstücken L. lugubris und H. t. typus. Nach mehreren Stunden machten wir uns dann völlig verdreckt wieder auf den Rückmarsch. Dabei sah ich plötzlich aus etwa 50 m Entfernung ein längliches Tier mit leuchtend blaugrünen Farben an der Rinde eines alten Laubbaumes. Mein erster Gedanke war sofort, daß dies P. edwardnewtoni sein mußte. Bei näherem Hinsehen stellte ich jedoch zu meiner großen Enttäuschung fest, daß es sich nur um die „blöde“ bunte Nacktschnecke handelte, von der uns die WWF-Mitarbeiter im Flugzeug erzählt hatten. Sie besaß eine Größe von ca. 12 cm und kroch gemächlich den Baum hinauf. Wegen unserer Abreise am kommenden Morgen konnten wir leider die gute Nachricht, daß die Nacktschnecke noch existiert, nicht mehr an die Leute vom WWF weitergeben.

Vielleicht werden wir Rodrigues in den nächsten Jahren ein viertes Mal besuchen, um uns dann mit neuem Elan auf die Suche nach den Riesen-Phelsumen zu machen. Wir hoffen natürlich, daß die Insel noch lange Zeit vom Tourismus verschont wird, damit das friedliche und gemütliche lnselleben erhalten bleibt.

Schlußbemerkungen:
Dank Coca Cola und den modernen Transportwegen gibt es auf Rodrigues wieder Phelsumen. Diese Feststellung trifft zumindest für P. cepediana zu. Es ist gut möglich, daß in den kommenden Jahren auch Phelsuma ornata ornata und Phelsuma guimbeaui guimbeaui auf dem gleichen Wege von Mauritius nach Rodrigues übersiedeln.

Die Frage, ob P. gigas und P. edwardnewtoni ausgestorben sind, kann derzeit noch nicht mit letzter Sicherheit beantwortet werden. Es spricht aber leider vieles dafür. Den letzten Aufschluß hierüber werden aber wohl erst die Untersuchungen der WWF-Mitarbeiter in den bislang noch unerforschten Tälern an der Südküste geben. Hier könnten eventuell noch kleine Populationen überlebt haben.

Möglicherweise wird der eine oder andere Phelsumenfreund durch diesen Bericht animiert, einmal selbst nach Rodrigues zu reisen. Er wird dort zumindest Ruhe und Erholung finden. Vielleicht hat er auch das Glück, bei der Suche nach den Riesen-Phelsumen eine als ausgestorben geltende Fliegen- oder Käferart wiederzuentdecken. Auch nicht schlecht oder? Ich wünsche auf jeden Fall viel Erfolg.

Zitierte Literatur:
Vinson, J. & J.-M. Vinson (1969): The Saurian Fauna of the Mascarene Islands – Mauritius Inst. Bull., Port Louis, 6 (4): 230-320

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