Kostenloser Bambusersatz mit überlegener Bearbeitbarkeit

von Eberhard Krauß (Der Taggecko, Nr.53, 1/2006 u. Nr.54, 2/2006)

 

Was sind Neophyten?
Neophyten sind Neubürger in unserer heimischen Pflanzenwelt. Die meisten dieser über 300 Arten sind für Ziergärten oder als Nutzpflanzen eingeführt worden und integrieren sich problemlos auch wenn sie in die Natur „ausbüchsen“. Einige besonders invasive Arten allerdings führen mit ihrer massenhaften Ausbreitung zu deutlichen Veränderungen in unserer Landschaft einher mit gesundheitlichen (wie im Falle des in dieser Zeitschrift bereits beschriebenen Riesen-Bärenklaus/Herkulesstaude, dessen Saft schwere Hautentzündungen hervorruft), wirtschaftlichen (Destabilisierung von Deichen und Bahndämmen) und massiven ökologischen Schäden.

Trieb des Japanischen Staudenknöterichs mit Blüten und den typischen ledrigen Blättern

Trieb des Japanischen Staudenknöterichs mit Blüten und den typischen ledrigen Blättern

 

Die heimische Flora wird überwuchert und durch Beschattung sowie Nährstoffentzug verdrängt. In Folge verlieren auch Tiere ihre Lebensgrundlage und verschwinden. Diesen Pflanzen fehlt auch meist jeglicher natürlicher Feind um der uneingeschränkten Verbreitung entgegenzustehen. Häufig sind aufwendige Bekämpfungsprogramme nötig. Ausgezeichnete Lektüre ist das Büchlein „Wenn Neophyten zum Problem werden …“, das online unter www.naturschutzzentrum-zittau.de/download/… herunterladbar ist und hilfreiches Bildmaterial vor allem zur Unterscheidung der beiden in diesem Artikel vorgestellten Arten bietet. Weiterhin zu empfehlen ist das vom Bundesamt für Naturschutz erarbeitete Internet-Handbuch unter www.neophyten.de, das auch Verbreitungskarten enthält.

 

Abgestorbene Sprosse des Japan-Staudenknöterichs Ende November. Die hellen geschälten Stängel sind noch die vom Vorjahr!

Abgestorbene Sprosse des Japan-Staudenknöterichs Ende November. Die hellen geschälten Stängel sind noch die vom Vorjahr!

Die eingeschleppten Staudenknötericharten:
Der bei uns häufigste Riesenknöterich ist der Japanischer Staudenknöterich (Reynoutria japonica), eine Hochstaude, die 1823 oder 1835 in England eingeführt wurde und ursprünglich in China, Korea und Japan beheimatet ist. . Mit einer Wuchshöhe von ein bis drei Metern ist diese beliebte Gartenzierpflanze auch entlang heimischer Bäche, Flüsse, Straßenrändern und Bahnlinien sowie anderen Biotopen nicht zu übersehen. Der Hauptsproß ist segmentiert und hohl, er mißt kurz über dem Boden bis zu 6cm im Durchmesser. Nach etwa der Hälfte der gesamten Höhe verzweigt sich der Sproß. Die Blätter sind eiförmig länglich, haben eine kurze ausgezogene Spitze und zum Stängel hin gestutzt. Sie werden bis zu 18cm lang und 13 cm breit, sind ledrig glatt und hart. Im Herbst sterben die oberirdischen Pflanzenteile ab, im Frühjahr (März/April) sprießen dann neue Triebe aus dem Erdreich, die im Mai bis zu 10cm täglich wachsen können! Die unterirdischen Rhizome erreichen eine Tiefe bis 2m, und können sich jährlich bis zu 2m ausbreiten. Die Vermehrung über Samen spielt in unseren Breiten keine Rolle. Aber jedes kleinste Wurzelfragment kann eine neue Staude und über kürzeste Zeit ein neues Dickicht bilden, damit sind der Verbreitung entlang der Gewässer und durch Gartenabfall sowie Schuttablagerungen keine Grenzen gesetzt.

Das riesige Blatt des Sachalin-Staudenknöterichs, eine 1€-Münze zum Größenvergleich. Der herzförmige Blattansatz ist deutlich zu erkennen.

Das riesige Blatt des Sachalin-Staudenknöterichs, eine 1€-Münze zum Größenvergleich. Der herzförmige Blattansatz ist deutlich zu erkennen.

Der Sachalin-Knöterich (Raynoutria sachalinensis) von der südlichen Halbinsel Sachalin, den Kurilen und den nördlichen Inseln Japans, in Europa 1863 eingeführt, ist wesentlich größer, aber auch deutlich seltener; für uns Terrarier wie wir später sehen werden aber umso interessanter. Die 2m bis 4m hohe Staude hat bis zu 43cm lange und bis 27cm breite Blätter, die zum Stängel hin herzförmig und zur Spitze hin allmählich zugespitzt sind. Die Blattunterseite ist behaart, das Blatt ist auffällig weich.
Beide Arten kreuzen miteinander, der entstandene Böhmische Knöterich scheint noch aggressiver vorzudringen als die Elternarten. Über den Gartenschmuck hinausgehende Nutzen sind weitestgehend nicht erzielt worden, weder Wild noch Rinder fressen die Pflanzen noch eignen sie sich als (winterliche) Deckungsplätze für das Wild.

Lediglich der Extrakt aus dem Sachalin-Staudenknöterich, unter dem Handelsname Milsana® kommerziell erhältlich, kann vorbeugend gegen den Mehltau eingesetzt werden und ist ein anerkanntes Mittel im Ökologischen Landbau. Diese pilzhemmenden Wirkstoffe, die auch das Verrotten der abgestorbenen Stängel verlangsamt, könnten für die Verwendung im feuchten Terrarium vorteilhaft sein.

Auch P.m.leiogaster schätzt den Knöterich als Klettergelegenheit

Auch P.m.leiogaster schätzt den Knöterich als Klettergelegenheit

Die Sprosse im Terrarium:
Die Sprosse eignen sich hervorragend als Bambusersatz. Bisher habe ich nur Erfahrungen mit dem Japanischen Staudenknöterich gesammelt. Frühestens erntet man die abgestorbenen Sprosse im Winter, wenn die Stängel mindestens einmal ordentlich durchfrostet waren und ordentlich getrocknet sind. Ab Januar/Februar sind dann auch durch Wind und Wetter die äußeren, glatten und dunkelbraunen Häute abgelöst, die die etwas rauheren inneren Röhren freilegen, die bambusfarben und fein längs gerillt sind.

P.klemmeri-NZ am Knöterich

P.klemmeri-NZ am Knöterich

Auch noch während des Sommers lassen sich die gut getrockneten vorjährigen Stangen ernten. Selbst die Sprosse des Japan-Knöterichs sind nach reichlicher eigener Erfahrung deutlich schimmelresistenter als Bambus, gerade in feuchten Terrarien ein wichtiges Kriterium, und lassen sich leicht mit einem feinen Metallsägeblatt sägen und einem Teppichmesser bearbeiten. Fenster oder Schlitze lassen sich hineinschneiden, das Innere wird dann gerne von unseren Pfleglingen eifrig nach Futter durchsucht oder nachts zum Schlafen genutzt. In den feuchten Untergrund gesteckt dauert es mindestens ein halbes Jahr bis der Sproß, aber nur im eingegrabenen Bereich, zersetzt. Mit umwickelter Alufolie läßt sich der Prozeß deutlich verlangsamen. Aufgesetzte oder diagonal bzw. vertikal befestigte Sprossen halten sich entsprechend länger. Vertikal genutzte Stängel habe ich seit 2 Jahren ohne Verschleißerscheinungen, und jeden Winter gibt es ja wieder Ersatz. Gegenüber den sehr glatten Bambusstängeln werden die Knöterichsprossen von meinen Phelsumen (kleine Arten) eher bevorzugt, selbst der Blaue Bambustaggecko (P. klemmeri) macht entgegen seines Namens keine Ausnahme.

Der Knöterich ist leicht zu bearbeiten

Der Knöterich ist leicht zu bearbeiten

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die beiden Staudenknötericharten sich in Mitteleuropa immer weiter verbreiten, und somit den Terrarienbegeisterten ein unerschöpfliches Quell an preisgünstigsten Bambusersatz liefert, das noch dazu schimmelresistent und leicht bearbeitbar ist, um durch Schlitze und Fenster den Lebensraum unserer Pfleglinge interessanter und vielfältiger zu gestalten. Aufgrund seines natürlicherweise wesentlich höheren Gehaltes an pilzhemmenden Stoffen ist dem deutlich selteneren Sachalin-Knöterich der Vorzug zu geben. Vielleicht findet Ihr einen netten Nachbarn, der sich über eine Aufräumhilfe im herbstlichen Garten freut, und im Gegenzug die Sprosse gerne abgibt. Oder, einige längere Spaziergänge zum Auffinden der Stauden an Weg- oder Fließgewässerrändern kommen beim Rest der Familie meist sehr gut an. Viel Spaß beim Suchen und Basteln!

Nachtrag (Der Taggecko, Nr.54, 2/2006):

Die Eier von P.m.leiogaster wurden in den Sproß geklebt, herausgesägt und in den Inkubator überführt

Die Eier von P.m.leiogaster wurden in den Sproß geklebt, herausgesägt und in den Inkubator überführt

Japan-Knöterich, wie man ihn im Winter vorfindet

Japan-Knöterich, wie man ihn im Winter vorfindet

Mittlerweile habe ich festgestellt, daß von Eiklebern wie P. modesta leiogaster gerne die Eier im inneren der Röhren ankleben; je enger der Zugang umso lieber, also ruhig relativ schmale Schlitze schneiden, oder die Röhre gegen das Glas klemmen mit seitlich einem kleinen Spalt; man glaubt nicht durch welche Nadelöhren sich so ein hochträchtiges Weibchen noch klemmen kann! Die Eier lassen sich leicht mit einem Teppichmesser ausschneiden, oder vorsichtshalber kann auch die Röhre schlicht mit einem Metallsägeblatt gekürzt werden. Im Gegensatz zu Sensevirienblättern wellen die Röhren nicht bei der Austrocknung im Inkubator, und im Vergleich zu Bambus lassen die fehlende Wiederanschaffungskosten das Herausschneiden verschmerzen. An dem rauhen Material können sich auch die frischgeschlüpften Jungtiere ideal das erste Mal häuten.
Um der Zersetzung bei Dauerfeuchte entgegenzuwirken, habe ich in letzter Zeit die Röhren auf Tonscherben aufgesetzt und gute Erfahrungen gemacht. Das fällt bei Seramis farblich kaum auf, ist aber sicherlich bei anderem Bodengrund auch unauffällig. Ein weiterer Vorteil ist, daß im Gegensatz zu frischen Ästen von Obstgehölzen, Hainbuche oder Eberesche die trockenen Knöterichsposse nicht mehr schrumpfen, und damit ihre Länge und Rindenstruktur verändern.

Des weiteren habe ich unlängst erstmals Erfahrungen mit dem selteneren Sachalin-Knöterich gemacht. Da ich die Sprosse im späten Winter geschnitten habe, war die braune „Oberhaut“ noch am Sproß. Die Stengel habe ich neben bereits geschälten Sprosse des Japanischen Staudenknöterich in feuchten bis nassen Bodengrund gesteckt. Innerhalb von 4-6 Wochen war der Sachalinknöterichstengel von kleinen Pilzen übersät, auch 4 Wochen danach wurde gleiches am Japanknöterichstengel nicht beobachtet. Entgegen meiner Einschätzung, daß die höheren Konzentrationen der natürlichen pilzhemmenden Stoffe des Sachalinknöterichs vorteilig sein könnten, hat sich folglich der Japanknöterich in der Praxis besser bewährt.

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